Kann EMDR Liebeskummer lindern?
- Nicole Isabel Weiss

- 7. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Nov.
Warum Trennung so weh tut und wie EMDR Dir hilft, wieder bei Dir selbst anzukommen
Dieser Artikel erschien erstmals im Online-Magazin The Healing House Magazin, August 2025
Wenn das Herz nicht loslassen kann
In meiner Praxis begegnen mir häufig Klientinnen, die rational wissen, dass eine Beziehung keine Chance mehr hat, aber dennoch emotional an ihr festhalten. Für viele Frauen ist dieser Moment nicht nur tieftraurig, sondern er wirft sie aus der Bahn. Plötzlich erscheinen Selbstwert, Zukunftspläne und Selbstvertrauen wie weggewischt. Flashbacks, Gedankenkreise, körperliche Reaktionen beim Gedanken an den Ex-Partner, auch Wochen nach der Trennung sind Hinweise, dass diese auf einer tiefen Ebene noch nicht verarbeitet wurde.
Liebeskummer ist echter Schmerz
Liebeskummer tut weh. Nicht nur ein bisschen, sondern oft so sehr, dass es sich anfühlt, als würde etwas im Innersten zerreißen. Schlaflose Nächte, Appetitlosigkeit, ein Ziehen in der Brust, Herzrasen: Wer diese körperlichen Symptome erlebt, weiß, dass Liebeskummer weit mehr ist als ein „emotionales Tief“. Es ist echter Schmerz und das belegt auch die Wissenschaft.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass bei Trennung oder Zurückweisung beim Verlassenden dieselben Regionen im Gehirn aktiviert werden, wie bei körperlichem Schmerz. Für unser Nervensystem macht es kaum einen Unterschied, ob wir uns das Bein brechen oder das Herz. Nur dass diese Wunde von außen nicht sichtbar ist.
In einer Beziehung schüttet unser Körper regelmäßig Bindungshormone aus, vor allem Oxytocin (das „Kuschelhormon“) und Dopamin, das für Glücksgefühle sorgt. Diese Hormone stärken die emotionale Nähe, fördern Vertrauen und verbinden uns auf tiefster Ebene mit dem anderen Menschen. Gemeinsame Rituale, Berührungen, Gespräche festigen diese Verbindung. Mit der Trennung fällt diese hormonelle Versorgung abrupt weg. Der Körper gerät in einen Zustand von Mangel, das Nervensystem in Alarmbereitschaft. Diese Reaktionen sind evolutionär tief in uns verankert: Bindung bedeutete Schutz und Überleben und ihr Verlust war eine reale Bedrohung.
Besonders intensiv wird der Trennungsschmerz, wenn alte Bindungserfahrungen unbewusst mitwirken, etwa, wenn in der Kindheit eine wichtige Bezugsperson unzuverlässig war und dadurch keine sichere Bindung entstehen konnte. Solche frühen Erlebnisse prägen sich tief im emotionalen Gedächtnis ein und genau dieses unterscheidet nicht zwischen „damals“ und „heute“. Eine Trennung kann dadurch alte Wunden aufreißen und der Schmerz fühlt sich doppelt so stark an.
Und genau hier setzt EMDR als Therapie an
Wenn eine Trennung sich anfühlt wie ein nicht enden wollender Schmerz, wenn Gedanken im Kreis laufen und der Körper Alarm schlägt, obwohl die Beziehung längst vorbei ist, dann liegt die Ursache oft tiefer. EMDR setzt genau dort an, wo der Schmerz tief verankert ist – im emotionalen Gedächtnis.
EMDR ist eine hochwirksame, wissenschaftlich fundierte Methode, mit der sich selbst tiefsitzende emotionale Wunden behutsam verarbeiten lassen
Interview mit Julia von Loessl, Gründerin von THE HEALING HOUSE, Hamburg
Julia: Wofür steht EMDR?
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, d.h. „Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen“. Es handelt sich um eine evidenzbasierte, klinisch anerkannte Therapiemethode zur Behandlung von belastenden Erinnerungen, Traumata und emotionalen Blockaden, deren Wirksamkeit durch zahlreiche Studien eindrucksvoll belegt ist.
Das Verfahren wurde in den späten 1980er-Jahren von der US-amerikanischen Psychologin Dr. Francine Shapiro entwickelt. Ursprünglich zur Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) gedacht, findet EMDR heute weltweit Anwendung, nicht nur bei schweren Traumata, sondern auch bei Ängsten, Trauer und einer Vielzahl emotionaler und psychischer Belastungen.
Von außen wirkt EMDR oft unspektakulär. Die Klientin folgt mit den Augen den sanften Bewegungen meiner Hand. Doch im Inneren geschieht Erstaunliches. Erinnerungen werden neu verarbeitet, neuronale Verbindungen entstehen und emotionale Wunden, die oft seit Jahren unberührt geblieben sind, dürfen endlich heilen.
Die bilaterale Stimulation unterstützt das Gehirn dabei, ähnliche Verarbeitungsprozesse wie im REM-Schlaf anzustoßen, jenem Zustand, in dem unser Gehirn Erlebtes sortiert und integriert. Das Resultat: Schon nach wenigen Sitzungen verliert der Schmerz spürbar und nachhaltig an Intensität.
Es geht nicht darum, Erinnerungen zu löschen, sondern darum, sie so zu verarbeiten, dass der Körper nicht mehr in Alarmbereitschaft gerät, sobald ein Auslöser (Trigger) auftaucht. Die Freiheit, die daraus entsteht, ist mit Worten kaum zu beschreiben.
EMDR ist ein kraftvoller Schlüssel zu innerer Heilung. Die evidenzbasierte Methode setzt genau dort an, wo der Schmerz seinen Ursprung hat, tief im emotionalen Erleben. Sie unterstützt meine Klientin dabei, alte Verletzungen behutsam zu verarbeiten, das Nervensystem zu beruhigen und wieder Stabilität, innere Ruhe und Vertrauen in sich selbst zu entwickeln. So wird es Schritt für Schritt möglich, loszulassen und gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Julia: Wie kann ich mir eine EMDR-Behandlung in Deiner Praxis vorstellen?
In meiner Praxis biete ich einen geschützten Raum, in dem sich meine Klientin verstanden, sicher und einfühlsam begleitet fühlen darf. Ich arbeite mit einem ganzheitlichen EMDR-Ansatz, der nicht nur auf die Symptome schaut, sondern gemeinsam mit der Klientin an die Ursache geht, für echte Veränderung, nicht nur kurzfristige Linderung.
Zu Beginn einer EMDR-Therapie ist es für mich essenziell, zunächst die inneren Ressourcen der Klientin zu aktivieren. Wir stärken gemeinsam die individuellen Kraftquellen, positive Erinnerungen, innere Stärken und bisherige Bewältigungsstrategien. Diese Ressourcen bilden ein stabiles Fundament, das meine Klientin durch den gesamten therapeutischen Prozess trägt. Sie dienen gleichzeitig als Anker, um sich den schmerzhaften Erinnerungen behutsam nähern zu können.
Im nächsten Schritt wählen wir gemeinsam einen belastenden Moment aus, der besonders präsent ist oder sie emotional stark berührt. Während sie sich innerlich auf diese Erfahrung konzentriert, begleite ich sie mit gezielten Augenbewegungen oder sanften Reizen, wie rhythmischem Tapping. Diese bilaterale Stimulation unterstützt das Gehirn dabei, die festgefahrenen Emotionen zu verarbeiten und neue neuronale Netzwerke zu bilden.
Im Verlauf dieses Prozesses treten an die Stelle belastender Gefühle oft Erleichterung, neue Klarheit und stärkende Gedanken, wie: „Ich darf loslassen“ oder „Ich bin genug“. Auch körperliche Spannungen, die oft unbemerkt mit alten Verletzungen verbunden sind, können sich dabei lösen.
Am Ende jeder Sitzung verankern wir diese neuen, stärkenden Überzeugungen Schritt für Schritt. Und wir schauen gemeinsam, wie die gewonnene innere Kraft und Klarheit ganz konkret in Ihrem Alltag spürbar werden darf.
Die innere Veränderung darf sich auch im Außen zeigen, in Form von mehr Leichtigkeit, Selbstvertrauen und Verbindung mit sich selbst.
Julia: Wie viele Sitzungen sind notwendig?
Das ist individuell und hängt stark von der Thematik ab. Ein klar abgegrenztes Erlebnis, wie zum Beispiel eine belastende Trennung oder ein einzelnes Trauma, kann oft schon in drei bis fünf Sitzungen spürbar gelindert werden. Viele meiner Klientinnen berichten bereits nach der ersten Sitzung von einer tiefen Erleichterung – etwa, dass das ständige Gedankenkreisen nachlässt, sich die emotionale Anspannung löst oder ein neuer, heilsamer Blick auf die vergangene Beziehung möglich wird. Oft entsteht dabei das Gefühl, endlich wieder bei sich selbst anzukommen.
Bei komplexeren Themen z.B. tief verankerten Mustern oder emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit, braucht es natürlich mehr Zeit. Hier ist eine längerfristige therapeutische Begleitung sinnvoll, um die Erfahrungen behutsam zu verarbeiten und nachhaltig zu integrieren. Doch auch in diesen Prozessen zeigt sich immer wieder, dass EMDR Veränderung auf tiefer Ebene ermöglichen kann.
Julia: Gibt es Kontraindikationen?
Ja. EMDR ist zum Beispiel nicht geeignet bei akuten Psychosen, schweren Dissoziationen ohne Stabilisierung, unbehandelter Epilepsie oder fehlender innerer Ressourcen. In meiner Praxis lege ich größten Wert auf ausführliche Vorgespräche, um Sicherheit, Stabilisierung und eine klare Indikation zu gewährleisten.
Julia: Inwiefern unterscheidet sich EMDR von einer klassischen Gesprächstherapie?
Der vielleicht größte Unterschied liegt darin, dass meine Klientin in einer EMDR-Sitzung das „Problem“ nicht vollständig in Worte fassen muss. Gerade bei frühkindlichen oder vorbewussten Erfahrungen fehlt oft der klare Zusammenhang. Man weiß vielleicht gar nicht genau, warum plötzlich Tränen fließen, eine innere Enge entsteht oder Angst auftaucht. Und genau hier liegt die Stärke von EMDR. Die Methode arbeitet mit dem, was sich zeigt, auch wenn es noch keinen Namen hat.
Viele Frauen starten die Therapie mit einem Gefühl, nicht mit einer fertigen Geschichte. In EMDR genügt es, mit einem belastenden Moment zu beginnen, den das innere Erleben als besonders schmerzhaft abgespeichert hat. Das kann ein konkretes Bild sein, ein Körpergefühl oder auch nur eine diffuse Ahnung. Ab diesem Punkt setzt der eigentliche Verarbeitungsprozess ein. Durch die gezielte bilaterale Stimulation bekommt das Gehirn die Möglichkeit, das Geschehene auf eine neue, heilsame Weise zu integrieren, ohne es immer wieder durchleben zu müssen.
Julia: Bietest Du EMDR auch Online an?
Meine Praxis befindet sich in München-Schwabing und ich biete auch Online-Sitzungen für eine emotionale Begleitung an. Viele meiner Klientinnen schätzen die Flexibilität und den geschützten Rahmen, den auch ein digitales Setting bieten kann. In einem kostenfreien Erstgespräch finden wir schnell gemeinsam heraus, ob und wie ich eine Klientin auf ihrem Weg begleiten kann.
Vielen Dank für das Interview.
Quellen:
Eisenberger, N.I. et al. (2003). Does Rejection Hurt? An fMRI Study of Social Exclusion. Science.
Kross, E. et al. (2011). Social rejection shares somatosensory representations with physical pain. Proceedings of the National Academy of Sciences.
Shapiro, F. (2001). EMDR: Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Guilford Press.
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